Tracht in Kleinwalsertal

045kw2„Leisch ds Hääs aa?“ Mit dieser Frage beginnt oft das Ankleideritual zum Kirchgang an Sonn- und Feiertagen in vielen Familien des Kleinen Walsertales. Wenn auch die Juppa und der Dreispitz immer seltener an Sonntagen zu sehen sind, so sind Hochzeiten, Taufen, Begräbnisse und hohe Feiertage häufig Anlass, die wohl behütete Tracht aus den Kleiderkästen hervorzuholen und sie als Festtagskleid zu verwenden.

Allerdings schreiben Pfarrer Joseph Fink und Dr. Hippolyt von Klenze 1891:

 An der Tracht haben die Männer bis vor etwa zwanzig, die Frauen bis vor zehn Jahren im ganzen Thale zäh festgehalten. Leider hat inzwischen in der Gemeinde Riezlern die früher von den Walsern selbst im Spott (…) „Schwabhäß“ genannte, abscheuliche und geschmacklose Kleidung der Allgäuerinnen, ein lächerlicher Abklatsch der französischen Mode, überhand genommen.

Trotz dieser pessimistischen Stimme aus dem 19. Jahrhundert hat sich das Tragen der Frauentracht in einigen Familien im Kleinen Walsertal bis heute gehalten. Bis vor wenigen Jahren gab es Frauen, die sonntags und werktags „i dr Juppa“ ihre Arbeit verrichteten. Auch Wanderungen wurden „i der Juppa“ unternommen.

Die Frauentracht

Grundausstattung

Zur Grundausstattung gehört die gezogene, kurze oder langärmelige Bluse aus Baumwolle oder Leinen, an den Bündchen schlicht mit rotem Zierstich versehen. Von dieser Bluse sind lediglich die Ärmel zu sehen. Darüber wird der grüne Unterrock aus Wolle oder festem Baumwollstoff gezogen. Das kurze, hoch geschlossene Mieder dieses Unterrocks endet oberhalb der Brust, ist mit breiten roten Bändern eingefasst und zeigt auf schwarzem Untergrund Rosenstickereien. Mit vier achteckigen Silberknöpfen wird dieses Mieder geschlossen. Der Saum des Unterrockes ist mit großen, roten Zacken verziert. Über diesem Unterkleid trägt die Kleinwalserin die Juppa, eine Art Trägerrock, der bis zu den Knöcheln reicht. Die Juppa aus schwarz gefärbter Baumwolle ist an breiten Samtträgern befestigt und in ca. 1000 ein bis zwei mm breite Falten gelegt. Damit dieses in mühsamer Handarbeit hergestellte Plissée nicht seine Form verliert, wird die Juppa an ihrem Saum mit der Bsetze versehen. Dieser üppige, bis zu 18 cm hohe Volant aus schwerem Tuch verleiht der Trägerin einen eleganten Schwung beim Gehen und Tanzen.

Der Fürsches, eine Schürze aus Seide, Halbseide oder Wollbrokat, früher auch aus Baumwolle, wird oberhalb der Brust mit den Fürschesbändel, das sind bestickte Samtbänder, festgehalten. Die Farben und Muster des Fürsches haben viele Veränderungen mitgemacht. Heute besinnt man sich auf gedeckte Farben und kleine, eingewobene, traditionelle Muster. Beliebt sind auch einfärbige, changierende Stoffe.

Weiße oder bei Beerdigungen schwarze Strümpfe und schwarze, niedrige Schnallenschuhe machen die Grundausstattung der Walser Frauentracht komplett.

Schmuck

Das „Halsbaater“, eine Korallenkette aus Spitzkorallen oder Stockperlen in Form von Fässchen, kann bis zu fünfreihig sein und wird am Nacken mit einer Silberschließe befestigt, auf der oft die Initialen der Trägerin eingraviert sind. Am besten kommt dieses wertvolle Schmuckstück zur Geltung, wenn die Frisur der Trägerin den Nacken frei lässt. Beim Kirchgang tragen die Mädchen den „Plätteleschgürtel“, ein mit Silberplättchen und drei kleinen Silberfiligranbroschen versehenes Samtband.

Die Braut schmückt sich an ihrem Hochzeitstag noch zusätzlich mit der silbernen Gollerkette.

Die Frauen tragen die „Bschlacht“, einen Leder- oder Lackledergürtel, beschlagen mit drei wertvollen, verschieden großen Gold- oder Silberornamenten. Bei Beerdigungen wird die Bschlacht durch den „Truurgürtel“, einen schlichten, ca. 6 cm breiten schwarzen Ledergürtel, ersetzt.

Überbekleidung

Die Ärmel, ein kurzleibiges, langärmeliges schwarzes Jäckchen aus Wolltuch, Samt oder Seide sind oft mit einer breiten Webborte an Ausschnitt und Ärmel eingefasst und lassen den Blick auf oberhalb der Brust gebundene Schürzenbänder und Schmuckgürtel frei. An hohen Festtagen und bei Beerdigungen werden die Ärmel durch das mit Seidenchenille kunstvoll besetzte Schälkle aus schwarzem Tuch ersetzt. Schlutta heißt eine taillenlange, leicht ausgestellte Jacke aus kleingemustertem Wollstoff oder dunklem, einfärbigem Samt, die gerne mit dem Strohhut kombiniert wird. Beim Kirchgang wird ein schmaler schwarzer Schal aus Seide oder Wollchiffon zur Schleife um den Hals gebunden. In der Übergangszeit wärmt ein quadratischer, mit Fransen versehener, diagonal gefalteter Schal aus Wolltuch und im Winter tragen die Frauen und Mädchen das pelerinenartige Mäntele. Es ist schwarz, mit Pelz, Webpelz oder Wollbrokat gefüttert.

Kopfbedeckungen

Die Kopfbedeckung für Mädchen beim Kirchgang ist das „Krönele“ oder der „Chrans“, eine mit Samt, kleinen Stoffblumen und Goldflitter verzierte Krone, die rückwärts mit vier roten, bei der Braut grünen, Seidenbändern versehen ist.

Verheiratete und unverheiratete Frauen tragen gerne den „Siidahuat“, einen ca. 1890 aus dem Inntal eingeführten steifen Hut, der mit schwarzer Seide überzogen ist. Das Hutband ist goldfarben und die Unterkrempe zeigt eine reich verzierte Goldborte. Für den Sommer gibt es den schwarzen „Schtroohuat“, besetzt mit einem breiten, gerüschten Atlasband, und den „Länzahuat“, einen schwarzen breitkrempigen Filzhut mit niedrigem Gupf und langen, vorne herabhängenden Seidenbändern. „Birgerkappa“ heißt eine kegelförmige, gestrickte und dann sorgfältig gebürstete schwarze Wollkappe für den Winter. Verheirateten Frauen und Frauen in Trauer ist die „Breemakappa“ oder „Soometkappa“, eine Pelzkappe aus Fischotterfell, vorbehalten. Sie ist zweiteilig, vorne etwas niedriger als hinten, und verdeckt die Haare der Trägerin völlig. Der Boden der Kappe ist aus dunkelrotem Samt und mit Kordeln verziert. Bei traditionsbewussten Beerdigungen trägt die nächste Verwandte des oder der Verstorbenen die „Schtuucha“, ein an die Witwentracht des Mittelalters erinnerndes weißes Leinentuch mit Fransen, das sorgfältig um den Kopf gelegt wird, und einen hohen, konisch zulaufenden Filzhut, den „Schtuuchahuat“.

Die Männertracht

Grundausstattung

Die Burschen und Männer tragen zum weißen Baumwoll- oder Leinenhemd schwarze Kniebundhosen aus Samt, Tuch oder Leder. Die schwarzen oder roten Hosenträger und die 10 – 15 cm breiten Gurte aus schwarzem Tuch oder Leder weisen meist bunte Seidenstickereien auf. Ledergurte sind oft mit Federkielen bestickt oder mit Eisen- oder Messingnieten beschlagen. Manchmal dient der Gurt auch als Geldkatze. Weiße oder bei Trauer dunkelblaue Strümpfe, schwarze Schnallen- oder Bundschuhe und das „Tüachle“, eine bunte oder schwarze seidene Schleife am Hals des Trägers, dürfen nicht fehlen.

Überbekleidung

Die Burschen tragen eine weiße gestrickte Zipfelkappe und den Lääderliib, ein kurzes weißes Schaflederwams mit grünen Zierstichen und scharlachroten Tuchärmeln.

Der verheiratete Mann trägt zum Liible, einer roten Tuchweste mit Silberknöpfen, und zum Kamisol, einem knielangen, schwarzen oder dunkelfärbigen Gehrock, den Dreischpitz als Kopfbedeckung. Der Bräutigam bekommt an seinem Hochzeitstag einen schwarzen Wollzylinder und den „Bruutschtruuß“, einen Ansteckstrauß, der aus denselben Materialien besteht wie die Krone der Braut.

Verena Gillard-Fritz

Gemeinde Mittelberg