Blütenstaub enthüllt 3000-jährige Siedlungsgeschichte im Tannberggebiet
VON CAROLINA WALDE & KLAUS OEGGL
INSTITUT FÜR BOTANIK DER LEOPOLD-FRANZENS-UNIVERSITÄT INNSBRUCK,
STERNWARTESTRASSE 15, A-6020 INNSBRUCK
Einleitung
Der Hochtannberg als Übergang vom hinteren Bregenzerwald ins Lechtal und Arlberggebiet liegt abseits der bekannten Alpendurchquerungen und scheint daher relativ spät besiedelt worden zu sein.
Die ersten urkundlichen Erwähnungen aus dem 14. Jahrhundert belegen die Siedlungsgründung von Schröcken, Lech und Damüls durch die Walser (Ilg 1985). Im Rahmen des Projektes „Alpmuseum uf m Tannberg“, das sich mit der Erhaltung der ursprünglichen Kulturlandschaft und des Lebensraumes am Tannberg befasst, soll die Siedlungsgeschichte dieses Gebietes detailliert erforscht werden. Dendrochronologische Untersuchungen an Holzbalken der ältesten Alpgebäude „uf m Büel“ und „Batzen“ sollen zusätzliche unabhängige Daten zur Bau- und damit auch zur Besiedlungsgeschichte in historischer Zeit liefern, und auf diese Weise die schriftlichen Überlieferungen ergänzen. Die Siedlungsentwicklung vor dem Mittelalter hingegen ist nur unzulänglich bekannt. Mesolithische Silexabschläge, die Funde einer jungsteinzeitlichen Lochaxt bei Schröcken (Vonbank 1978), eines bronzezeitlichen Randleistenbeils bei Lech und zweier urnenfelderzeitlicher Lappenbeile bei Oberstdorf (Uslar 1991) und einer mittelalterlichen Lanzenspitze vom Kalbelesee belegen zwar die zeitweilige Begehung des Gebietes durch den Menschen seit der Mittelsteinzeit, aber prähistorische Siedlungsspuren in Form von Gebäudestrukturen konnten bisher noch nicht entdeckt werden. In Ermangelung derartiger historischer Quellen soll die pollenanalytische Untersuchung der Sedimente des Kalbelesees (Abbildung 1) beitragen Hinweise auf die frühere Besiedlung des Tannberggebietes zu erbringen.
Das Untersuchungsgebiet
Der See liegt im Gebiet des Krummholzes und der Lärchen-Zirbenwälder (Gams 1932). Ein Streifen aus Teichschachtelhalm (Equisetum fluviatile) und Seggen (Carex sp.) teilt den Kalbelesee im Sommer in einen kleineren Ostteil und einen größeren westlichen Bereich. Die Wasservegetation (Kossinna & Fliri 1961; Amann 1970; Gnaiger 2000) besteht hauptsächlich aus Langblättrigem Laichkraut (Potamogeton praelongus), Großem Schönmoos (Calliergon giganteum) und Armleuchteralgen (Chara sp.). Um den See gedeihen heute ausgedehnte Wiesen, die beweidet werden. Am vom Salobersattel abfallenden Nordhang stockt ein lichter Zirbenwald, der aus einer Aufforstung am Beginn des letzten Jahrhunderts hervorgegangen ist, mit Alpenrosengebüsch (Rhododendron hirsutum) im Unterwuchs. Die potentielle Waldgrenze liegt bei 1900 – 2000 m, die aktuelle Waldgrenze ist im Zuge anthropogener Eingriffe zur Gewinnung von Weideflächen um 300 m gegenüber der potentiellen abgesenkt.
Das Klima ist mitteleuropäisch, ozeanisch getönt mit schneereichen, relativ milden Wintern und niederschlagsreichen Sommern. Im nahe gelegenen Warth werden die geringsten durchschnittlichen monatlichen Niederschlagssummen im März und Dezember registriert. Die höchsten Niederschläge mit mehr als 200 mm gehen in den Sommermonaten von Juni bis August nieder. Die durchschnittliche Schneedeckendauer beträgt 179 Tage im Jahr. Für eine Temperaturabschätzung im Bereich des 400 m höher liegenden Kalbelesees stehen die Werte aus Schröcken zur Verfügung. Dort liegen die mittleren Julimaxima bei 27,4° und die -minima bei 4,4°C (Fliri 1975).
Zur Methode
In der Erforschung der Entstehung der Kulturlandschaft stößt man rasch an die Grenzen der historischen Quellen. Mündliche und schriftliche Überlieferungen reichen in den seltensten Fällen über das Mittelalter hinaus. Für frühere Zeiten liefern manche Gemälde noch brauchbare Hinweise. Aber auch die Auswertung derartiger ikonografischer Quellen erreicht meist in der Klassischen Antike ihre Grenzen. Dann können nur noch indirekte Methoden helfen, die vergangene Umwelt zu rekonstruieren. Die Methode der Wahl stellt dabei die Pollenanalyse dar. Die Pollenanalyse beschäftigt sich mit der Rekonstruktion vergangener Vegetationsverhältnisse mit Hilfe von Blütenstaub, der in See und Moorablagerungen eingeschlossen ist.
Viele bestandesbildende Pflanzenarten im Wald und auf der Wiese verbreiten ihren Blütenstaub durch den Wind. Nur ein geringer Anteil dieses windverfrachteten Blütenstaubs trifft auf die Narbe und führt eine Bestäubung durch. Der Großteil dieses Pollens wird auf der Erdoberfläche abgelagert, wo er innerhalb weniger Wochen zersetzt wird. Gelangt der Blütenstaub aber auf die Oberfläche von Seen und Mooren, wird er in das Sediment oder im Torf eingebettet und erhält sich über Jahrtausende (Abbildung 2). Damit sind in See- und Moorablagerung wichtige Informationen über die vergangene Vegetation gespeichert, denn die Zusammensetzung des Pollens in den Ablagerungen steht in direktem Zusammenhang mit der Vegetation, die diese Pollen verbreitet hat. Anhand der Pollenzusammensetzung von Seesedimenten kann die Vegetationsveränderung in einem definierten Gebiet über mehrere Jahrtausend hinweg beobachtet werden.
Ursachen für Vegetationsveränderungen werden mittels sogenannten Zeigerarten registriert. So lässt sich der Einfluss des Menschen auf die Vegetation mittels Siedlungs- oder Kulturzeiger nachweisen. Zu den Siedlungszeigern zählen Pollen von Pflanzen, die unter dem Einfluss des Menschen vermehrt auftreten wie der Spitzwegerich (Plantago lanceolata-Typ), der große Wegerich (Plantago major-Typ), der Mittlere Wegerich (Plantago media), Ampferarten (Rumex-Typ), ebenso stickstoffliebende Pflanzen wie Brennnesselgewächse (Urticaceae), Gänsefußgewächse (Chenopodiaceae-Typ) oder Beifuss (Artemisia), die gedüngte Böden wie Viehweiden, Äcker und Brachflächen anzeigen (Iversen 1941; Behre 1981). Großen Indikatorwert besitzt der Spitzwegerich (Plantago lanceolata), eine lichtbedürftige Art, die nur dann aufkommt, wenn die Krone des Waldes offen ist (Behre1981). Der Spitzwegerich (Plantago lanceolata) produziert viele Pollen, die durch den Wind verbreitet werden. Ampferarten (Rumex-Typ) kommen vor allem auf Ruderalstandorten oder auf landwirtschaftlich genutzten Flächen vor. All diese Arten sind natürliche Bestandteile der heimischen Flora, hingegen werden Kulturzeiger ausschließlich vom Menschen verbreitet, in das Gebiet eingeschleppt und angebaut. Die häufigsten Kulturzeiger sind Pollen von Getreide (Cerealia), Roggen (Secale) sowie Edelkastanie (Castanea sativa) und Walnuss (Juglans). Ihr Auftreten im Pollendiagramm weist signifikant die Anwesenheit des Menschen nach. Zudem zeigen einige Pollen dieser anthropogenen Zeigerpflanzen eine eingeschränkte Transportfähigkeit auf und können daher nur wenige Kilometer von den Siedlungsflächen entfernt nachgewiesen werden (Behre & Kucan 1986). Damit ist es möglich mit Hilfe der Pollenanalyse auch die Lage von prähistorischen Siedlungen zu ermitteln.
Aber auch die chronologische Abfolge der Pollentypen im Profil zeigt die Art und Weise des menschlichen Eingriffs in die natürliche Vegetation auf (Iversen 1941, 1949, 1969; Behre 1981). Eine Rodung ist verbunden mit dem Rückgang der Baumarten und die Pollen krautiger Pflanzen steigen deutlich an. In einer zweiten Phase treten Getreide und lichtliebende Pioniergehölze wie Birke (Betula) und Hasel (Corylus avellana) auf. Auf den unbeschatteten und offenen Flächen breiten sich die Gräser (Gramineae) und der Spitzwegerich (Plantago lanceolata-Typ) aus. Bleibt der menschliche Einfluss aus, gehen die Kultur- und Siedlungszeiger zurück. Am Ende einer Siedlungsphase breiten sich wieder die Baumarten aus und schließen die Lichtung.
Diese Methode gelangt auch an den Sedimenten des Kalbelesees zur Anwendung. Zuvor musste aber noch ein Sedimentkern geborgen werden. Dazu wurde im Frühjahr 2002 mit einem Merkt-Streiff Kernbohrgerät in der östlichen Verlandungszone des Kalbelesees eine Bohrung bis auf 6 m Tiefe niedergebracht (Abbildung 1). Die Bohrkerne wurden anschließend im Institut für Botanik tiefgefroren und bis zur chemischen Aufbereitung gelagert. Die chemische Aufbereitung der Proben wurde am Institut für Botanik der Universität Innsbruck nach einer standardisierten Methode vorgenommen (Seiwald 1980). Die Pollenpräparate wurden mikroskopisch ausgezählt und die Ergebnisse mit dem am Institut für Botanik entwickelten Computerprogramm Fagus 4 in Form von Schattenrissdiagrammen dargestellt. Zur Berechnung des Relativdiagrammes sind Sporen, Holzkohlepartikel und Sauergräser (Cyperaceae) aus der 100%-Summe ausgeschlossen. Ihre Werte sind auf die Gesamtsumme bezogen dargestellt. Im Pollenprofil (Abbildung 3) ist auf der y-Achse die Tiefe und auf der x-Achse die Häufigkeit der einzelnen Pollen abzulesen. Von links nach rechts werden die Baumpollen, dann das Hauptdiagramm, die Nichtbaumpollen (Kräuter), die Einzelfunde und anschließend die Sporen und Holzkohlenpartikel dargestellt. Die dunkel unterlegten Flächen stellen die Prozentwerte, die weißen Flächen die Promillewerte dar. Im Hauptdiagramm in der Mitte sind die wichtigsten Baumpollen links und die Gräser rechts aufgetragen. Die durchgehende Linie zeigt das Verhältnis Baumpollen (links) zu den Nichtbaumpollen (rechts) auf.
Zur besseren Lesbarkeit und zum Vergleich mit Pollendiagrammen aus benachbarten Gebieten, wird das Pollenprofil in Zonen eingeteilt. Eine solche Zone ist durch die dominant vorkommenden Pollen und Sporen definiert, ohne sich an Klima, Vegetation oder Sediment anzulehnen. Sie wird als „lokale Pollenansammlungszone lpaz“ (Hedberg 1972a,b) bezeichnet (Tabelle 1). Nach ersten Orientierungsanalysen sind Proben zur Radiokarbondatierung gezogen worden. Die Datierungen wurden am Institut für Radiumforschung und Kernphysik der Universität Wien durchgeführt. Einige Daten (VERA-2444, VERA-2572 und VERA-2573) sind im Vergleich zur Pollenstratigrafie angrenzender Pollenprofile (Grosse-Brauckmann 2002) und zu den übrigen Daten aus dem Kalbelesee zu alt, weshalb sie nicht berücksichtigt werden. Die auf die beiden 14C-Daten aufbauende chronostratigrafische Gliederung erfolgt nach den Vorschlägen von Mangerud et al. (1974).
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Tabelle 1. Die lokalen Pollenansammlungszonen (lpaz) des Pollenprofils Kalbelesee. |
Die Vegetationsgeschichte des Tannberggebietes
Überraschenderweise erfasst die 6 m mächtige Sedimentsäule aus dem Kalbelesee nur die Vegetationsentwicklung der letzten 3000 Jahre. Die Vegetationsentwicklung beginnt mit einer Erlen-Fichten-Buchen-Zone (lpaz K-1, Abbildung 3). Der See liegt demnach knapp oberhalb der Waldgrenze, die von der Fichte (Picea) gebildet wird. Pollen der Buche (Fagus) und der Hasel (Corylus avellana) stammen aus tieferen Lagen. Dort bildet die Buche (Fagus) gemeinsam mit der Fichte (Picea) und der Tanne (Abies) einen Bergmischwald, der bis auf 1400 m Seehöhe reicht. Darüber folgen bis auf ca. 1600 m geschlossene Fichtenwälder, die sich anschließend auflichten und in ca. 1900 m in die alpinen Grasheiden übergehen. Am Ufer des Sees und entlang der Bachläufe wachsen Erlen (Alnus) und Birken (Betula). Die Gräser (Gramineae) besitzen mit bis zu 15 % einen beachtlichen Anteil an der Pollensumme und zeigen den aufgelockerten Bestand und lichtoffenen Charakter des Fichtenwaldes an. Bereits in dieser Zone treten Siedlungszeiger auf. Brennnesselgewächse (Urticaceae), Gänsefußgewächse (Chenopodiaceae-Typ), Beifuss (Artemisia), Mittlerer Wegerich (Plantago media), Spitzwegerich (Plantago lanceolata-Typ) und Ampfer (Rumex-Typ) deuten auf eine Weidenutzung der lichten Waldflächen hin.
An der Grenze zur Fichten-Hahnenfußgewächse-Zone (lpaz K-2, Abbildung 3) fallen die Werte der Erle (Alnus) ab und die Fichte (Picea) nimmt vorerst zu. Offensichtlich werden die Erlen (Alnus) im Bereich des Sees geschlägert, wodurch sich der Fichtenpollen (Picea) im Pollenspektrum stärker manifestieren kann. Anschließend nimmt aber die Fichte (Picea) wieder ab, was für Rodungen im Waldgrenzbereich in unmittelbarer Umgebung des Sees spricht, denn in diesem Abschnitt nehmen die Siedlungszeiger, der mittlere Wegerich (Plantago media), der Spitzwegerich (Plantago lanceolata-Typ) und vor allem der Ampfer (Rumex-Typ) zu. Auch Kulturzeiger wie Getreide (Cerealia) und Roggen (Secale) sind nun stetig nachgewiesen. Ein Radiokarbondatum am Beginn der Pollenzone stellt diese erste lokale Siedlungsphase an den Übergang von der Bronzezeit zur Eisenzeit. Aufgrund der deutlichen Zunahme der Weide- und Siedlungszeiger in dieser Zone muss mit einer extensiven Weidenutzung der Rodungsflächen gerechnet werden.
Am Übergang zur Fichten-Zungenblütler-Zone (lpaz K-3, Abbildung 3) nimmt der menschliche Einfluss ab, ohne jedoch unterbrochen zu werden. Aufgrund der Interpolation der beiden Radiokarbondaten erfolgt dieser Rückgang noch in der Eisenzeit. Durch den geringeren menschlichen Eingriff, sprich Weidenutzung, kann sich die Fichte (Picea) wieder etwas ausbreiten. Jedoch bereits in der Römerzeit (ab 440 cm Tiefe) nimmt die Weidetätigkeit um den Kalbelesee wieder zu, und die Fichte (Picea) wird erneut geschlägert. Erst am oberen Ende dieser Zone nimmt die Weideintensität ab, und die Fichte (Picea) breitet sich wieder aus. Die Wiesenzeiger (Glockenblumengewächse, Schmetterlingsblütler, Hornklee, Storchschnabel, Rosengewächse) nehmen zwar ab, aber die Siedlungszeiger (Spitzwegerich, Brennnesselgewächse, Ampfer) lassen auf ein Fortbestehen der Siedlungsaktivität, wenn auch in geringerem Ausmaß, im Tannberggebiet schließen.
Die Ausbreitung der lokalen Gehölze Fichte (Picea), Kiefer (Pinus) und Erle (Alnus) setzt sich in der Fichten-Kiefern-Hahnenfußgewächse-Zone (lpaz K-4, Abbildung 3) fort. Nichtsdestotrotz zeugen die konstanten Werte von Spitzwegerich (Plantago lanceolata-Typ), Ampfer (Rumex-Typ), Gänsefußgewächsen (Chenopodiaceae-Typ) und Brennnesselgewächsen (Urticaceae) von dem intensiven Weidebetrieb. Der Ampfer (Rumex-Typ) erreicht am Beginn dieser Zone sehr hohe Werte und weist auf ausgedehnte Bestände des Alpensauerampfers hin. Der Alpensauerampfer (Rumex alpinus) gedeiht bestens auf sehr nährstoff- und stickstoffreichen frischhumosen Lehmböden in der Nähe von Alm- und Sennhütten, wie es noch heute im Gebiet zu beobachten ist. Eine zusätzliche Förderung dieser Art durch den Menschen ist nicht auszuschließen, wurde der Alpenampfer doch als wertvolle Futterpflanze für Schweine kultiviert. Aber der Mensch nutzte auch den Sauerampfer als Nahrungsmittel wie Spinat oder gesotten und vergoren wie Sauerkraut (Hegi 1931, Zinsli 1991).
Neben diesen Siedlungszeigern treten auch Kulturzeiger wie Walnuss (Juglans) und Getreide (Cerealia, Secale) auf. Die Walnuss konnte mit Sicherheit auf diesen Höhenlagen nicht gedeihen und weist daher auf Ferntransport aus tieferen Lagen hin. Fernflug von Getreidepollen kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden, aber das gemeinsame Auftreten mit Pollen der Kornblume (Centaurea cyanus) legt lokalen Getreideanbau nahe. Die Kornblume (Centaurea cyanus) besitzt große Pollenkörner und wird durch Insekten bestäubt. Deshalb gelangen die schweren Pollenkörner dieses Getreideunkrautes nur in der unmittelbaren Nähe des Ackers zur Ablagerung (Behre & Kucan 1986), daher stammen die nachgewiesenen Pollen der Kornblume (Centaurea cyanus) aus dem hydrologischen Einzugsgebiet des Kalbelesees. Unter den Getreidepollen befindet sich auch stetig Roggen (Secale), der als Sommergetreide in den Alpen bis in jüngste Zeit auch in Höhenlagen nahe der Waldgrenze angebaut wurde. Das gemeinsame Vorkommen von Roggen (470, 410, 390 und 200 cm Tiefe) mit der Kornblume legt ein schweres Gewicht auf einen kleinflächigen, lokalen Getreideanbau auf dem Hochtannberg von der Eisenzeit bis ins Mittelalter.
Auch in der obersten Zone, der Fichten-Kiefern-Zungenblütler-Zone (lpaz K-5, Abbildung 3) setzt sich die Ausbreitung der Fichte (Picea) bis in die jüngsten Schichten fort. Dort fällt die Fichte ab und die Kiefern nehmen zu, damit spiegeln sich die heutigen Vegetations- und Nutzungsverhältnisse im Pollendiagramm des Kalbelesees wieder.
Die Feuerökologie im Tannberggebiet
Zusätzlich zu den Pollen wurden auch Holzkohlenpartikel (Abbildung 3) in den Pollenpräparaten ausgezählt. Diese Holzkohlenpartikel stammen von Feuern aus dem Umkreis des Sees. Die durchgeführten Analysen liefern Hinweise auf lokale Feuer, die sowohl natürlich entfacht als auch durch den Menschen gelegt worden sein können. Aus der Teilchengröße und ihrer Häufigkeit in den einzelnen Schichten kann auf die Lage und Größe der Feuer geschlossen werden (Clark 1988).
Auffällig im Pollendiagramm des Kalbelesees ist die Zunahme der Holzkohlen am Ende der Urnenfelderzeit, wo sich die lokale Siedlungstätigkeit des Menschen um den Kalbelesee erstmals deutlich abzeichnet (lpaz K2, Abbildung 3). Die geringen Werte der Baumarten und die hohen Anteile der Weidezeiger weisen auf eine offene Landschaft mit extensiver Weidewirtschaft hin. Die Teilchengröße der gleichzeitig auftretenden Holzkohlen von mehr als hundert Mikrometern belegt lokale Feuer. Nachdem das Einzugsgebiet um den Kalbelesee zu dieser Zeit fast baumfrei war, stellt sich die Frage: Was hat gebrannt? Obwohl die Baumpollenwerte in dieser Zone, lpaz K2, so gering sind, ist das Einzugsgebiet des Kalbelesees nicht völlig frei von Gehölzen. Im Zuge der Beweidung entwickelt sich ein Gebüsch von bodenständigen Sträuchern, die vom Vieh nicht gefressen werden. Es sind dies vor allem Wacholder (Juniperus communis) und Alpenrose (Rhododendron hirsutum), die als Weideunkräuter im Laufe der Zeit überhand nehmen und den Grasbewuchs eindämmen. Zur Verbesserung der Weide und des Graswuchses müssen diese Weideunkräuter von Zeit zu Zeit entfernt werden. Dies geschieht entweder durch Ausreißen der Sträucher durch den Hirten oder durch wiederholtes Brennen, auch Schwenden bezeichnet. Letztere Brandrodung kann auch für das Tannberggebiet mittels der Pollenanalysen seit der Eisenzeit nachgewiesen werden, denn Feuer führt zu Veränderungen der Vegetation. So reagieren einzelne Pflanzen positiv auf Feuer, indem sie nach dem Feuer bessere Keim- und Wuchsbedingungen vorfinden. Der Adlerfarn (Pteridium aquilinum) und das Heidekraut (Calluna vulgaris, Abbildung 4) sind gut an das Feuer angepasst und ihr zahlreiches Vorkommen hängt mit dem Auftreten von häufigen Feuern zusammen (Tinner et al. 2000). Brand fördert bei beiden Pflanzen die Keimung. Werden Samen von Heidekraut eine Minute lang Temperaturen von 40 – 60°C ausgesetzt, so wird ihre Keimung begünstigt. Zudem zeigt das Heidekraut (Calluna vulgaris) eine optimale Verjüngung bei regelmäßigem Brand im Herbst in einem Intervall von 6 – 10 Jahren (Pott & Hüppe 1991). Die Jungtriebe des Heidekrauts werden im Gegensatz zu den mehrjährigen vom Vieh gerne gefressen, und außerdem blüht die Heide in den Folgejahren stärker (Iversen 1969, Lang 1994). Durch die erhöhte Blühintensität gelangen mehr Pollenkörner dieser überwiegend durch Insekten bestäubten Art in den Seesedimenten zur Ablagerung. Auf diese Weise kann aber auch überprüft werden, ob eine Verbindung zwischen der Brandaktivität und dem Blühverhalten von Heidekraut besteht. Tatsächlich bestätigt die Korrelationsanalyse einen direkten Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Feuerzeigern, also Pflanzen die von regelmäßigem Feuer profitieren, und Holzkohlenteilchen, die Feuer im Einzugsgebiet des Kalbelesees anzeigen (Abbildung 5a). Der Umstand, dass gemeinsam mit den Feuerzeigern und Holzkohlenteilchen immer Siedlungszeiger auftreten (Abbildung 5b), weist darauf hin, dass die Brände vom Menschen, in der Absicht die Weideflächen vom Gebüsch zu roden, gelegt wurden.
Die Siedlungsgeschichte des Tannberggebietes
Die Pollenanalysen vom Kalbelesee liefern erste Daten zur frühen Besiedlungsgeschichte auf dem Tannberg. Ab der Bronzezeit nützt der Mensch die Grünflächen um den See zur Beweidung in unterschiedlicher Intensität. Der frühe anthropogene Eingriff steht im Einklang mit Pollenanalysen aus dem Oberinntal (Kral 1979; Oeggl, unpubl. Manuskript; Walde, unpubl. Daten). Dabei wirkt sich die Siedlungstätigkeit nicht nur in einer Veränderung der Vegetation in den Tallagen aus, sondern erfasst bereits die Region an und über der Waldgrenze. So konnte auf der Komperdellalpe oberhalb von Serfaus eine Absenkung der Waldgrenze im Zuge von Weideaktivität ab der Bronzezeit nachgewiesen werden (Wahlmüller 2002). Dagegen sind die Spuren menschlicher Aktivität im Bereich des Tannberggebietes während der Bronzezeit noch moderat. Dennoch belegen die Werte der Wiesen- und Siedlungszeiger einen lokalen Weidebetrieb. Am Übergang zur Eisenzeit setzt dann ein intensiver menschlicher Einfluss am Hochtannberg ein, der durch das starke Auftreten der Siedlungs-, Kultur- und Wiesenzeiger repräsentiert wird. Um ca. 900-800 v. Chr. kommt es zu großflächigen menschlichen Eingriffen rund um den Kalbelesee. Die neugeschaffenen Rodungsflächen werden intensiv für Weidezwecke genutzt. Von nun an wird das Gebiet auf dem Hochtannberg kontinuierlich durch den Menschen genutzt. Eine derartige eisenzeitliche Weidenutzung dieser Höhenlagen ist sowohl aus dem Oberen Inntal bei Serfaus (Wahlmüller 2002) als auch aus dem unmittelbar angrenzenden Kleinen Walsertal bekannt (Grosse-Brauckmann 2002).
Die Beweidungsintensität nimmt am Ende der Eisenzeit ab. Auch während der Römerzeit weisen die niedrigen Werte der Siedlungszeiger und höhere Baumpollenwerte auf eine geringere, aber ununterbrochene Siedlungstätigkeit am Hochtannberg hin. Dieser Rückgang des menschlichen Einflusses scheint ein regionales Ausmaß zu besitzen, denn er kann ebenfalls im Oberinntal ab dem Ende der Eisenzeit (Wahlmüller 2002; Walde, unpubl. Daten) nachgewiesen werden.
Im Mittelalter macht sich wieder eine Intensivierung der Siedlungsaktivitäten um den Kalbelesee bemerkbar. Zwar breiten sich die lokalen Gehölze Erle (Alnus), Fichte (Picea) und Kiefer (Pinus) wieder aus, trotzdem bestätigt die deutliche Zunahme der Siedlungszeiger die Präsenz den Menschen. Offenbar wird das Gebiet um den See zwar kleinräumiger, aber dafür intensiver beweidet. Dies äußert sich im Pollendiagramm in der deutlichen Zunahme des Ampfers (Rumex-Typ) und Spitzwegerichs (Plantago lanceolata-Typ). Der Beginn dieser Entwicklung ist durch ein Radiokarbondatum auf 700 n. Chr. datiert. Eine genaue Datierung des maximalen Ausmaßes dieser Vegetationsveränderungen steht noch aus, aber aufgrund von Extrapolation der Sedimentationsrate basierend auf den beiden vorhandenen 14C-Daten fällt diese Entwicklung mit der Zuwanderung der Walser in das Tannberggebiet zusammen.
Dank: Die Autoren danken Herrn Univ. Prof. Dr. Erich Gnaiger, Universität Innsbruck, der sie auf diese interessante Fragestellung aufmerksam gemacht hat. Weiters gilt der Dank Herrn Dr. Georg Friebe, inatura – Erlebnis Naturschau Vorarlberg, und der Vorarlberger Naturschau, die diese Untersuchungen durch die finanzielle Unterstützung erst möglich gemacht haben.
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